Verweint rennt sie die Friedrichstraße in Berlin runter.
Tränen rannen ihrer zarten Wange runter an diesem Samstagabend im Hochsommer.
Völlig außer sich, rennt sie mitten auf die Straße und weint bitterlich.
Passanten rufen ihr zu, doch sie bleibt inmitten der breiten Straße und blendete alles andere aus, bis zu dem Moment an dem ein junger Mann sie am Arm packt und sie auf den Gehweg gewaltsam zieht.
Er drückte sie auf die Bordsteinkante und setzte sich zu ihr.
Ihre lange dunkle Haare fielen ihr vor dem Gesicht und zunächst sah sie den Mann nicht.
Ein Arm legte sich um ihre Schulter und sie wischte die Tränen beiseite und sah auf.
Ein junges männliches Gesicht blickte ihr entgegen. Der Mann mochte vielleicht erst Mitte zwanzig sein, aber in seinen Augen sah sie eine tiefe Wärme und Empathie, die sie wieder etwas beruhigen ließ.
Noch eine Weile saßen die Beiden dort auf dem Bordstein, bis die Passanten sich wieder eigenen Wegen bahnten.
Der Mann zündete sich eine Zigarette an und gab ihr auch eine. Dankbar nahm sie die Kippe entgegen und der Mann zündetet ihr diese an.
´´Was tut eine hübsche junge Frau so verweint mitten auf der Friedrichstraße in Berlin ? Ich denke es gebe schönere Dinge, die man an sich einem herrlichen Sommerabend tun könne´´
Der Mann lächelte ihr zu.
Sie erwiderte seinen Blick, doch sagte nichts. Zu sehr musste sie noch um ihre Fassung ringen.
´´Komm. Ich begleite dich nach Hause. Vielleicht wäre es besser, wenn du dich ausruhst.´´
Da schüttelte die Frau den Kopf.
´´Nein. Es geht nicht. Ich habe kein Zuhause mehr. Mein Freund hat mich gerade da rausgeschmissen.´´
Der junge Mann blickte sie an und überlegte.
´´Wie wäre es mit einem Hostel oder irgendwelche Freunde ?´´
´´Nein, nein. Ich habe keine Freunde und Geld mehr. Alles ist weg.´´
Der Mann zog an seiner Zigarette und sah sie wieder an.
´´Na gut. Ich denke meiner WG wird es okay sein, wenn du eine Nacht bei uns bleiben kannst, bis die Wogen sich glätten.´´
Da blickt die junge Frau misstrauisch den Mann an.
´´Keine Angst. Du darfst gerne bei uns sein. Alles wird gut sein.´´
Noch einmal zog der Mann an der Zigarette und die Frau tat dies auch.
Dann, nach ein paar Sekunden blickte sie auf und nickte.
´´Ja. Ich komme mit…vielen Dank´´
Der Mann lächelte und winkte ein Taxi heran.
Beide stiegen ein und sie fuhren los…
…die junge Frau saß in einem kleinen Zimmer auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch. Daneben ein kleines Bett und ein Kleidungsschrank. Mehr befand sich dort nicht.
Der Mann betrat das Zimmer und hielt zwei Tassen Tee in beiden Händen.
´´Der müsste dich etwas beruhigen. Das ist ein grüner Tee.´´
Die Frau nahm dankbar den Tee entgegen und nippte an dem heißen Getränk. Sie schaute nochmal den Mann an.
Dieser war recht attraktiv, wie sie merkte. Er hatte mittellange blonde Haare, die seine Schulter zart berührten, eine sehr schlanke Figur und von hoher Statur. Er trug ein schwarzes Hemd und eine dunkle Hose wie Schuhe.
´´Warst du heute auf einer Beerdigung ? ´´
Lächelte die Frau ihn an.
Dieser grinste.
´´Nein, das ist meine Arbeitskleidung.´´
Die Frau musterte ihn wieder und dachte sich nicht mehr darüber.
Nun befand sie sich in einem WG-Zimmer irgendwo in Berlin. Ihr Freund schmiss sie nach einem heftigen Streit raus und ihre Freunde waren alle weg. Was für eine Misere, dachte sie. Da schossen ihr neue Gedanken in den Kopf. Sie war nun hier mit diesem sehr attraktiven jungen Mann. Wahrscheinlich erwartete dieser eine Gegenleistung und sie fand sich damit ab, ihm diesen Gefallen zu tun.
Sie blickte nochmal ernst in dessen Augen und dieser schien ihre Gedanken zu lesen.
´´Du darfst hier auf meinem Bett übernachten. Ich schlafe im Wohnzimmer auf dem Sofa. Du hast die ganze Nacht das Zimmer für dich alleine. ´´
Erstaunt blickte die Frau den Mann an.
Ein Kerl der diese Gelegenheit einfach so dahergibt ?
´´Wer bist du ? ´´
Fragte schließlich die Frau. Es war keine einfache Frage, eher eine Frage mit tieferem Wortlaut.
´´Mein Name ist Marcel. Ich bin Priesteranwärter.´´
Die Frau traute ihren Augen nicht.
Dieser gut aussehende Mann ist ein Priester ?!
Schon wieder schien der Mann ihre Gedanken zu lesen.
´´Ja ich weiß. Es ist kein herkömmlicher Beruf. Eher etwas speziell.´´
Die Frau musterte ihn nochmal und tausend Fragen schossen ihr in den Kopf, ehe der Mann sie dabei unterbrach.
´´Es ist spät des Abends. Du musst Müde sein. Schlaf gut. Wir sehen uns morgen früh zum Frühstück.´´
Mehr sagte Marcel nicht und ging wieder.
Die Frau legte sich in das Bett, dachte über das Chaos in ihrem Leben nach, ehe sie erschöpft einschlief…
…ein lautes Halleluja weckte die junge Frau.
Sie öffnete die Augen. Es war noch früh am Morgen.
Ein Männerchor schallte durch das Haus und ließ sie hellwach werden.
Sie zog schnell ihre Kleidung an und trat aus der Tür heraus.
In der letzten Nacht konnte sie wegen der Dunkelheit nicht sehen, wo sie sich genau befand oder wie es dort aussah.
Überall befanden sich christliche Relikte, Gemälde und Statuen.
Sie folgte dem Schall des Gesangs den Flur runter und befand sich schließlich vor einer großen Holztür. Langsam öffnete sie die schwere Tür und lugte mit dem Kopf herein. Eine Gruppe junger Männer knieten vor einem Altar mit einem großen Tisch und einem Kruzifix darüber.
Ein älterer Priester stand dort am Altartisch und hob die Hostie, das größte Sakrament, in die Höhe. Die Männer neigten ihr Kopf und mit einem Segen beendete der Priester die Andacht. Alle Personen im Raum bekreuzigten sich und standen auf.
Da in der Ecke sah sie schließlich Marcel, der mit einem Lächeln ihr entgegentrat.
´´Guten Morgen unser junger Gast. Komm mit zur Kantine. Es gibt jetzt Frühstück.´´
Die anderen Männer, die die Kapelle verließen, nickten ihr freundlich zu und verließen den Raum.
Marcel zeigte mit der Hand auf den Flur, ging voran und begleitete die junge Frau zur Kantine.
Dort waren vier große Tische aufgereiht, auf der sich reichlich Kaffee, Brot und Aufschnitt befand.
Marcel setzte sich neben der jungen Frau, die sich an einem Brötchen bediente, da hielt er seine Hand vor ihr.
´´Erst das Tischgebet.´´
Lächelte Marcel ihr zu.
Dann standen alle Männer auf und sangen ein kleines Dankeslied. Dann bekreuzigten sie sich wieder und setzten sich.
Da erhob sich Marcel von seinem Platz.
´´Mit großer Ehre darf ich heute einen Gast unter uns begrüßen.´´
Alle Männer klatschten und winkten ihr zu, ehe sie anfingen zu frühstücken.
Noch etwas schweigsam saß die junge Frau dort ganz allein unter all den jungen Männern, doch sie fühlte sich immer mehr in dieser Gemeinschaft geborgen und respektiert.
´´ Ich danke dir sehr Marcel für deine Gastfreundschaft. Ich würde aber gerne nach dem Frühstück wieder gehen. Ich muss das Chaos in meinem Leben aufräumen.´´
Marcel sah sie kurz still an.
´´Natürlich darfst du gehen, wann es dir passt. Es war uns eine Ehre, eine junge Frau hier zu begrüßen.´´
Noch eine Weile saßen sie dort am Tisch und die junge Frau überlegte, wie sie diese Geste wieder begleichen könne.
´´Marcel. Vielen Dank für deine Hilfe. Ich weiß gar nicht, wie ich das wieder gut machen könnte.´´
´´Den Einzigen, den du um Vergebung bitten kannst, ist unser aller Herr. Wir sind berufen ihm zu dienen, indem wir den Menschen draußen dienen. Gott ist unter uns und nicht über uns. Er ist kein alter weißer Mann im Himmel. Er ist hier in uns und um uns. Die Quelle der Liebe und Friedens auf Erden.´´
Die junge Frau dachte über diese Worte nach und erschrak auf einmal.
Sie war nie besonders religiös, aber genoss den Anblick schöner Kirchen und das Glockenspiel. Der Glaube war ihr nie ein treuer Begleiter, den sie gepflegt hätte.
Sie dachte nach über all die schrecklichen Dinge nach, die in den letzten Tagen passiert sind. All die Missgunst, der Hass, Eifersucht und Habsucht. Doch jetzt inmitten dieser Menschen fühlte sie sich geborgen und seelisch zufrieden. Ein Gefühl, das sie selten spürte.
Bevor sie in ihre Gedanken wieder versank, beschloss sie wieder in ihr altes Leben zurückzukehren und wenn möglich ihre Probleme wieder hinzubiegen.
´´Komm, ich begleite dich wenigstens zur Tür. Gast im Haus, König im Haus.´´
Marcel führte die junge Frau zum Ausgang und zeigte ihr die Richtung zur nächsten Bushaltestelle.
Nun standen Beide dort an der Straße und es kam der Moment des Abschiedes.
Die junge Frau schaute nochmal Marcel an, bis sie zu ihm trat und ihn umarmte.
´´Ich danke dir sehr Marcel für alles, was du für mich getan hast. Machs gut.´´
Marcel entglitt wieder ein Lächeln und zeichnete mit den Fingern ein Kreuz über ihre Stirn.
´´Geh mit Gott. Er ist Immer bei dir. In guten wie in schlechten Zeiten.´´
Dann kam schon der Bus und die junge Frau stieg ein.
Sie würde diesen Moment nie vergessen, als der höchste Gott sie berührte…