Prolog
Die Welt befindet sich im Wandel.
Das war sie schon immer, nur die Geschwindigkeit dieses Wandels hat sich verändert.
Dank der Digitalisierung wie der Industrialisierung nehmen alle erdenkliche wirtschaftliche und kulturelle Prozesse eine Geschwindigkeit an, die dem Menschen kaum noch erlaubt mitzuhalten und seinen gesunden Verstand einzusetzen.
Europa Anfang des 21. Jahrhunderts.
Wer glaubte mit Ende des kalten Krieges wäre die Geschichte an einem gesunden Ende angelangt täuscht sich gewaltig. Krisen und Kriege bleiben weiter, nur die Art und Weise ändert sich.
Die Menschen tragen andere Kleidung und die Gesellschaften ändern sich, doch im Grunde bleiben sie wie sie sind. Rassismus, Faschismus und Hass wird es immer geben, wenn auch in anderen Formen.
Schon längst befindet sich Europa in einer schweren Krise. Der Gegenpol aus Rechts wie Links, Liberal gegen National haben schon jetzt schwere Fronten geschlagen.
Nicht dass das schon genug wäre, kommt noch der Klimawandel hinzu, der die Welt zwingt Zusammenzuarbeiten wenn diese schon längst nicht mehr zusammenarbeitet.
Die alte Welt der fossilen Brennstoffe, die Mär des ewigen Wachstums, der ungebremste Kapitalismus und die Schere aus Arm und Reich endet nicht, sondern geht hinüber in ein neues Kapitel der Geschichte. Ob noch in hundert Jahren es die menschliche Weltgeschichte noch geben wird, ist eine andere Frage.
Kapitel 1
Betäubt und doch wach schaute Maciej sich um.
Überall nahm er fröhliche und tanzende junge Menschen wahr. Es war eine von vielen Partys in einem Studentenwohnheim auf dem Campus in Frankfurt an der Oder.
Die Studenten feiern den Abschluss der Einführungswoche der Viadrina im Semester 2035/36.
Reichlich wird guter polnischer Zubrowka Wodka gereicht und es war der Beginn eines neuen Lebensabschnittes der aus jugendlichen langsam Erwachsene werden ließ.
Maciej ging ins Badezimmer der WG und schaute in den Spiegel. Er sah klarblaue Augen und strohblonde schulterlange Haare, bevor er in die Spüle kotzen musste.
Plötzlich öffnete sich die Badezimmertür und ein Kommilitone schaute hinein: ´´Mensch Maciej, machst du etwa schlapp? ´´grinste ihn sein Kumpel Marek an. ´´Es geht wieder.´´entgegnete Maciej und drehte sich zu Marek um, der hinzufügte „Du solltest schnell wieder zurückkommen. Ich glaube Maryla macht dir ständig schöne Augen. Noch ein Wodka mehr und du musst heute Nacht nicht alleine schlafen.´´
Maciej ging in die Küche der WG zurück und im dichten Nebel der Zigaretten nahm er am Fenster eine kleine zierliche Figur wahr, Er quetschte sich neben den Feiernden hindurch und trat an ein Mädchen heran, die ihm ohne was zu sagen, aus ihrer Tasche eine Packung Marlboro herauszog und ihm eine Zigarette anbot. Maciej nahm diese an, stellte sich zu ihr ans offene Fenster, während sie ein Feuerzeug herausnahm und die Kippe anzündete.
Es bedurfte keine großen Worte, denn seit dem ersten Blick der Beiden war ihnen sofort klar, dass sie sich diese Nacht nicht so schnell trennen werden..
Maciej trat in die ruhige Küche seiner WG und schaute aus dem Fenster. Ein Nebel ließ die Straßen Frankfurts erstarren und es herrschte eine Stille, die die Lautstärke der letzten Party ins Nichts verschwinden ließ.
Er zündete sich eine Zigarette an und hinter ihm trat Maryla an ihn heran und legte ihren Kopf an seine Schulter.
´´Gib mir eine Zigarette´´flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie seinen Hals mit ihren Lippen liebkoste. Maciej drehte sich zu ihr um und schaute in ihre tiefbraunen Augen. Dann gab er ihr seine angezündete Zigarette und küsste sie leidenschaftlich.
´´Morgen findet die erste Vorlesung an.´´flüsterte Maryla ihm zu. ´´Wir sollten uns Vorbereiten und weniger ficken.´´
Beim letzten Satz musste Maciej laut auflachen und grinste das Mädchen an: ´´ Es hat noch nie geschadet was Gutes zu tun. Und du bist bisher das Beste, was mir beim Studium passieren konnte.´´
´´Wo kommst du eigentlich her Maciej? Du hast einen polnischen Namen und die Schönheit eines Polen, sprichst aber wie ein Deutscher.?´´
´´Meine Eltern sind polnische und deutsche Staatsbürger. Ihre Eltern stammen aus Warschau und haben sich in Niedersachsen niedergelassen. Wir sprachen Zuhause auch polnisch, aber halt mit nem starken Akzent.´´
Mit einem Augenzwinkern entgegnete Maryla:´´Ja, das waren noch die Zeiten der Europäischen Union. Damals war es einfacher für Polen und Deutsche umherzureisen. Doch seit dem Brexit und dem Verfall Europas ist es schwieriger geworden. Wer weiß, ob jetzt die Deutschen und Franzosen die Osteuropäer rauswerfen und ihr eigenes Ding machen.´´
Maciej verdrehte die Augen und versuchte den kurzen politischen Abdrift zu beenden, indem er Maryla an die Hand nahm: ´´Komm. Politik ist morgen Thema bei der Vorlesung. Jetzt lass uns ins Bett zurückgehen. Ich bin müde.´´
Maryla küsste ihm an die Hand, die daraufhin ihre Hüften umfassten und zärtlich ins Zimmer zurückführten.
Lautes Geschnatter und eine aufgeregte Stimmung herrschte im Audio Maximum, dem großen Hörsaal der Viadrina-Universität an der Logenstraße in Frankfurt Oder.
Maciej nahm in der ungefähr mittleren Reihe Platz und kramte aus seinem Rucksack seinen MacBook sowie einen iNote heraus, einem elektrischen Notizbuch mit Online-Funktionen.
Dann wurde es plötzlich still im Hörsaal, als ein betagter Mann das Podium hinaufstieg.
Der Mann trug eine gelbe Fliege, eine karierte Weste und Skinnyjeans mit weißen Turnschuhen.
„Sehr geehrte Damen und Herren. Mein Name ist Olaf Friedrichsen. Ich bin Professor am Lehrstuhl der Jura-Fakultät und werde sie langsam in den Studiengang hineinführen. Drum nehmen sie alle ihre iNotes heraus und bei Fragen oder Äußerungen einfach den Button mit der Glocke antippen, damit ich auf meinen iNote ihre Meldungen sehe. Danach suche ich per Zufall einen Glücklichen von ihnen aus, der sich öffnen darf. Nun denn, fangen wir an…´´
Danach folgten zwei Stunden gefüllt mit Organisatorischem und dem Grundbaukasten des Jurastudiums an der Viadrina. Maciej tippte alle wichtigen Infos in seinen iNote und speicherte sie in einem Ordner unter dem Namen ´´Friedrichsen 1´´ab.
Geduldig verfolgte Maciej die erste Vorlesung und war überrascht wie schnell diese doch zu Ende ging. Es folgten danach weitere Kurse in Europarecht und Philosophie bis der erste Tag auch wiederum schnell zu Ende ging. Es war der Beginn eines neuen Lebensabschnittes…
Kapitel 2
Die spannendsten Jahre eines Studiums ist das erste und letzte Jahr. Dazwischen steht natürlich das ergiebige Lernen, Stress und ab und an eine Party..
Maciej gewöhnte sich schnell an das Studentenleben und war doch heilfroh, dass das Semester zu Ende ging und Weihnachten bevorstand.
Die Festtage wollte er mit seiner Familie in Warschau verbringen. Seine Eltern reisten hierzu mit dem Zug nach Polen, weil die verpflichtenden E-Autos noch nicht die Kapazität hatten über 1000 Kilometer am Stück zu fahren, während das Schienennetz besser ausgebaut wurde und Dank der chinesischen Nanotechnologie über 400 Km´H fuhren, die das gewünschte Ziel schnell erreichen ließ.
Es war der letzte Tag vor Weihnachten, als Maciej seine Sachen packte und sich zum Bahnhof aufmachte. Er checkte noch seine neuesten Nachrichten auf dem Gigaphone und las eine Mitteilung von Maryla. Sein Gigaphone war die nächste Epoche der Smartphones, dass intelligent seinen Besitzer begleitet und alles protokolliert was er tat und ihm sogar Vorschläge machte, was er als Nächstes tun könne. Das Gigaphone empfahl ihm, sich wieder bei Maryla zu melden, dessen Nachrichten er lange ignorierte und nicht las. Auf dem holografischen Display erschien eine Meldung, die ihm mitteilte, wenn er ihre Freundschaft nicht verlieren wolle, solle er zurückschreiben.
´´Dieses dumme Handy´´raunte es aus Maciej heraus, der bewusst Marylas Nachrichten nicht las, seitdem ihre Beziehung in die Brüche ging. Er hatte einfach keine Lust darauf, dieses Mädchen nochmal zu sehen und so schaltete er seinen Gigaphone mit 8G-Technik einfach auf privat und machte sich zum Bahnhof auf.
Am Gleis 3 schließlich kam der Euro-Cityexpress pünktlich an, in dessen zweiten Wagon Maciej seinen reservierten Platz erreichte. Mit seinem iNote konnte er zu seinem Sitzplatz einen Kaffee bringen lassen , der ihm helfen sollte sich zu entspannen und die zweieinhalb Stunden im Zug so angenehm wie möglich zu verbringen.
Der nächste Halt war Posen. Durch die Waggons schlenderte ein polnischer Zollbeamte mit einem Dienst-Gigaphone, der die Passagiere registrierte. Als der Beamte an Maciej herantrat und sein Gerät bei der Scannung seines E-Ausweises anfing zu schrillen, wurde es Maciej plötzlich unangenehm.
´´ Ihr Name ist Maciej Szymanski?´´fragte der stark untersetzte Mann ihn.
´´Ja der bin ich´´antwortete Maciej auf polnisch.
´´Hm, hier steht sie sind deutscher Staatsbürger, tragen aber einen polnischen Namen und haben einen starken Akzent? Ihren E-Ausweis bitte !.´´
Maciej reichte ihm sein holografisches Dokument, den der Beamte begutachtete.
´´Sie studieren in Frankfurt an der Oder ?`´
´´Ja.´´
´´ Sind sie ein Neokommunist?´´fragte der Mann mit starkem Argwohn.
´´Oder Mitglied einer anderen extremen Vereinigung wie der Pro-Europäischen Front oder Greenpeace?´´
´´Nein´´war die Antwort von Maciej.
In dem Moment schritt ein glatzierter Mitpassagier an ihnen vorbei, drehte sich zu Maciej um und bemerkte:´´Das ist kein Pole. Das ist ein verdammter deutscher Gutmensch. Sollen doch eure Ahmeds bei euch bleiben. Wir in Polen, dem letzten freien weißen Land, wollen keine Ali´s bei uns oder andere Moslems.´´
Maciej schwieg vor Angst und versuchte ruhig zu bleiben.
´´So, ich habe Sie in die Liste gesetzt. Wir haben dich im Auge.´´zischte der Mann Maciej zu und ging weiter.
Maciej wurde es unbehagen zumute. Er wusste was die Liste bedeute. Dies war eine Online-Kartei mit Namen aller verdächtigen Personen, die sich im Land aufhielten. Die letzte PiS- Regierung hatte diese ins Leben gerufen, um Flüchtlinge, Kulturterroristen und unliebsame Menschen zu erfassen und verfolgen.
´´Na toll´´entging es Maciej die letzte Zeit über, bis der Zug in Warszawa-Centralna hielt und das Ziel der Reise erreichte.
Warschau pulsiert. Warschau lebt. Warschau ist polnisch.
So die Schriftzüge eines langen Plakats an der Fassade des Palastes für Kultur und Wissenschaft, der alle Bürger dazu aufrief das wahre Polen zu verteidigen.
Viel hat sich getan in Polen. Die Wirtschaft brummte, ein gewisser Grad an Wohlstand erfreute die Polen mitsamt einem stärkerem Ego und Selbstvertrauen.
Polen sei jetzt die letzte Bastion des Abendlandes, des Christentums und der Weßen Rasse.
Polen ist ein Bollwerk gegen die Infiltrierung durch andere einst Minderheiten, die jetzt fester Bestandteil der westlichen Gesellschaft waren. Nämlich bunt, queer aber auch mit starkem muslimischem Anteil.
Seit der Flüchtlingskrise in den letzten Jahrzehnten veränderte sich Europa.
Die rechten Hardliner und die politischen Linken sowie eine ganze Reihe an ökologischen Bewegungen bekriegten sich verbal in einer europäischen Gesellschaft, die vor dem Kollaps steht.
Die EU zerfällt, einzig gehalten von der demokratischen Grundordnung, dessen Fundament bröckelt.
Viele osteuropäische Staaten wie Polen oder Ungarn schmiedeten eine neue Allianz des Abendlandes, dessen kulturelle Erbe sie zu verteidigen glaubten.
Zwar gab es seit dem zweiten Weltkrieg keinen bewaffneten Konflikt mehr, aber der Krieg war längst im Gange. Digital.
Maciej stieg in die AirTram, einer Schwebebahn des öffentlichen Nahverkehrs und fuhr mit dieser über die Poniatowski-Brücke bis in den hippen Stadtteil Praga auf der anderen Seite der Weichsel.
An der ´´Wojczehowski-Straße´´stieg er aus und ging in einer Nebenstraße in einen typischen Altbau der Gegend hinein. Er klopfte an der schweren hölzernen Tür bis eine alter greiser Mann diese öffnete. ´´Maciej, mein Enkel ! Komm herein !!.´´
Der Mann umarmte seinen Enkel und rief in die Wohnung hinein, dass Maciej endlich da sei.
Ein kleines blondes Mädchen von fünf Jahren rannte ihm entgegen und umarmte ihn. Es war Maja, das Kind seiner älteren Schwester Olga.
Mit einem lachendem und doch tränenden Auge ging Maciej ins Wohnzimmer rein.
´´Was ist denn los Maciej? ´´fragte ihn seine Mutter, die sofort sah, dass etwas passierte.
´´Nichts, ich bin bloß froh hier zu sein.´´log der Student und setzte sich zu Tisch.
Danach aß die Familie gemeinsam Pierogen und freuten sich, dass Weihnachten bevorsteht.
Das Weihnachtsfest.
Es war eine typisch polnische Weihnachtsfeier. Die Familie saß beisammen, die Oblaten wurden geteilt, der eine leere Teller für den symbolisch Bedürftigen gedeckt und gemeinsam aus der Bibel die Weihnachtsgeschichte gelesen.
Es war ein Programm wie es sie in vielen polnischen Familien gab. Eine Tradition bestehend aus vielen Jahrzehnten gar Jahrhunderten.
Natürlich war es ein schönes Fest. Deshalb waren ja alle da, um sich an der Gegenwart des Anderen zu erfreuen.
Die Pierogen, der Barsch und der süße Nudelsalat wurden gegessen, gemeinsam Weihnachtslieder gesungen und schließlich die Geschenke verteilt.
Doch es gab den Zeitpunkt als das Programm zu Ende ging und bei einem Glas Wein die Älteren sich unterhielten, während die Kinder sich an den Geschenken erfreuten.
Es war Maciejs Großvater der das Gespräch begann: ´´Wir können froh sein, hier in Polen noch ein echtes christliches und urpolnisches Fest zu feiern. Seht nach Deutschland ! Das Land geht kulturell vor die Hunde. Überall die Araber, Zigeuner und Tunichtsgute. Aber wir in Polen bleiben das alte Europa. Jetzt kommt es auf uns an, unser Abendland zu retten. Sollen sie uns doch aus der EU werfen, diese Büroschnecken aus Brüssel !´´
Maciej hörte ihm zu und ein ungutes Gefühl überkam ihm. Er selbst ist wie seine Eltern in Deutschland geboren und fühlte sich diesem Land verbunden. Doch es gab eine gewisse Community an Deutsch-Polen wie er, die das Schicksal beider Länder tragen und sich an der politischen Front beider Seiten wiederfanden.
Maciej schwieg einfach und ließ seinen Großvater reden. Das Fest müsse nicht wegen Politik gestört werden.
Irgendwann kamen der Großvater und Maciejs Babcia, seine Oma, in ein Gespräch über die letzte Dekade der PiS-Regierung, die den ganzen Staat reformierten und die Zügel der Freiheit enger zogen. Dank des neuen Gesetzes der ´´Liste´´könne verhindert werden, dass Schädlinge ihr Unheil im Lande verbreiten.
´´Ich bin in der Liste.´´
Mehr Worte bedurfte Maciej nicht, um alle in Schweigen zu bringen.
´´Du bist in der Liste? Wie konnte das passieren?´´entschlug es Maciejs Großmutter.
Daraufhin erzählte Maciej von seiner Zugreise und dem Zollbeamten, der ihn verdächtigte.
Daraufhin wurde es sehr ruhig im Raum. Es bedurfte keine weiteren Worte, um das Fest nun zu beenden, ab dem Zeitpunkt als die Politik das Familienleben zerriss.
Kapitel 3
´´Was ist los mit dir ?´´
Marylas braune Augen blickten scharf in die Blauen von Maciej. Es war ihm zuwider mit diesem Mädchen, mit der er einst zusammen war, auch überhaupt zu reden.
´´Seitdem wir uns getrennt haben, sagst du nichtmal Hallo zu mir. Bin ich dir peinlich oder was? ´´
Dann staute sich Wut in Maciej auf und es platzte aus ihm heraus: ´´Hättest du nicht was mit Marek gehabt, wäre alles in Ordnung. Nicht nur dass du mich betrogen hast, fickst du auch noch mit meinem besten Freund…´´Eine Ohrfeige knallte an Maciejs linker Wange und ließ ihn im ganzen Gesicht rot werden.
´´Ich habe nichts mehr zu sagen´´wandte sich Maciej ab und ging aus seiner WG raus.
Einst liebte er diesen Menschen. Einst verliebte er sich in sie, bis zu dem Moment als er merkte, dass ein paar Tropfen Wodka reichten, um mit anderen Jungs zu flirten. Dies verletzte Maciej sehr. Es schmerzte auch in einer Zeit, an der Polygamie Gang und Gebe unter jungen Menschen war und für viele es nichts Besonderes sei, miteinander zu schlafen, auch wenn es nur Sex unter Freunden sei. Genau das war das Problem für den verletzten Maciej. Er wollte in keiner Polygamie leben, nein, er sehnte sich nach einer festen Beziehung samt Hochzeit und Kinder in einer normalen Familie. Doch genau das „Normale´´verschwand immer mehr in einer offenen und bunten Gesellschaft, wie die in Deutschland in den 30´ern des 21.Jahrhunderts. Maciej stand da ziemlich allein in seinen recht biederen Moralansichten. Nur zu dumm, dass er da oft alleine stand.
Nach Frankreich war Deutschland das nächste Land, dass die In-Vitro Befruchtung für Singels und Homosexuelle erlaubte. Es bedurfte keinen Vater und Mutter mehr, um Kinder zu bekommen. Es reichte eine Person und eine Samenspende. Mehr bedurfte es für den Kinderwunsch nicht mehr.
Einst waren diese Ansichten noch die gesellschaftliche Norm in Deutschland, doch es war der Druck nach mehr Mode und neuen gesellschaftlichen Ideen, der diese Norm aus den Fugen geraten ließ. Plötzlich konnte jeder einfach alles bestellen für Geld. Keiner musste mehr die Leistung erbringen einen Partner kennen zu lernen, diesen zu heiraten und Kinder zeugen wie großziehen.
Jetzt konnte jeder Individuell seine Bedürfnisse erfüllen, wo es vorher noch die Dualität und schlicht eine soziale Anpassung an den Partner bedurfte.
Sowieso befinden sich die dreißiger Jahre des Jahrhunderts in großen kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Angefangen von der Digitalisierung, Technisierung, Klimawandel, der Schere aus Arm und Reich und dem Zerfall der europäischen Einigkeit.
All dies befindet sich in einem Meltingpott, für immer mehr werdenden politischen Ströme und ein Nährboden für Extremismus aller Art. Hinzu kommt die weltweite Energie und Wirtschaftskrise.
Das Pariser Klimaabkommen konnte kein Staat einhalten, die fossilen Energieträger zerstören das menschliche Biotop, die Energiepreise steigen wie wild, hinzu Wohnungsnot, die schwierige Integration von einstigen Flüchtlingen und eine gewisse Radikalität in der demokratischen Debattenkultur.
Es waren keine einfache Zeiten für die Demokratie, dessen Pfeiler stark bröckelten und diese einst moderne wie zeitgemäße Staatsstruktur schwächelte. Jedes Zeitalter hat seine ganz eigenen Hürden und Menschen die diese Hürden zu überspringen vermögen wissen. Leider schlief die westliche Welt lange in Bezug auf die Entwicklungen in der Gesellschaft und wachte böse auf einer Welt, in der einst ganz selbstverständliche Rechte nun blass erscheinen.
Die Viadrina-Universität an der Grenze zweier Nationen, zweier Kulturen und einstigen Nachbarn kämpft nun um das letzte Erbe der Demokratien in einer europäischen Solidargemeinschaft.
Als Verfechter des Völkerdialogs und der ewigen Diplomatie beansprucht die Viadrina die Rolle des Vermittlers zwischen Ost und West.
Was ist geschehen ?
Während im Westen die Migrationswellen nicht anhalten, diese zu inneren Spannungen führen und viele Einheimische befürchten das eigene Gesicht zu verlieren, versuchen die Staaten im Osten eben das eigene Gesicht des Volkes zu wahren. Diese waren für sie eben monogam, einheitlich und weiß.
Längst vollzog sich eine breite Front der Differenzen zwischen den beiden Nachbarn. Doch der Osten gewann an Selbstvertrauen und Stolz. Stolz auf die immer größer werdenden Wirtschaftskraft innerhalb einer weltweiten Krisenzeit und dem Anspruch die EU führen zu wollen nach eigenen kulturellen Maßstäben. Einzig Rechtspopulisten aller europäischen Staaten schienen geeint innerhalb der Uneinigkeit der demokratischen Kräfte.
Die Welt scheint nicht vor dem nächsten Weltkrieg zu stehen, aber sie scheint von der Globalisierung wieder zurück in einer Epoche der Nationalisierung zu springen.
Maciej, der erst sein Studium an der Viadrina begann, sollte dies bald zu merken erfahren.
Es stehen die Vorprüfungen an.
Maciej verbarrikadierte sich in seinem Zimmer und arbeitete an seinem MacBook X.
Bücher gab es schon lange keine mehr, sondern der Zugriff auf Online-Archiven aller Bibliotheken Europas, in der alle alten Schriften digitalisiert wurden.
In den Prüfungen ging es um das Thema des innereuropäischen Rechts der EU.
Es folgten Texte um Texte auf dem Display seines MacBooks sowie die Komplikationen des EU-Rechts auf alle anderen Mitgliedsstaaten zu übertragen und wie sie dort durchgesetzt werden.
Gerade las Maciej einen Artikel auf Spiegel-Online zu diesem Sachverhalt als plötzlich eine Nachricht auf dem Bildschirm aufploppte.
Es kamen häufig solche Nachrichten vor, diese schien anders zu sein und ließ sein Interesse wecken.
Es war eine Nachricht der Studentenvertretung der Viadrina, die als wichtig unterstrichen wurde.
Gespannt las Maciej die Nachricht:
An alle Kommilitonen der Viadrina,
Es sind schwierige Zeiten für die Demokratie und unser aller Haus die EU.
Die Nationen entfremden sich, die Krise unserer Zeit bestimmt unser Leben, unser einstiger Wohlstand schwindet dahin.
Es ist Zeit etwas zu unternehmen! Wir von der Viadrina stellen sich diesen Hürden und kämpfen für eine Auflebung der Demokratie und eine Wiedergeburt der europäischen Einigkeit.
Nach dem Verfall der Nato, den vereinten Nationen und nun die EU, müssen wir als Studenten, die nächste Generationen die die Welt regieren wird nun handeln.
Vereinigt euch und tretet der Europäischen-Front bei!
Wir sind eine Bewegung, die für das geeinte Europa kämpft!
Glaubt nicht den Nationalisten, den Neofaschisten und den Verschwörern.
Schließ dich jetzt an und erscheine auf unserer großen Demo am nächsten Freitag!
Maciej dachte kurz nach und ihm fiel auf, dass es der Freitag der Vorprüfungen ist.
Er schaute in die Interessenliste der Demo und ihm fiel auf, dass sich darunter viele seiner Mitkommilitonen befinden.
Es dauerte nur eine Sekunde, einen Klick und Maciej trat der Demo bei…
Laut grellte es aus Lautsprechern und Mikrofonen.
Eine große Menge an Studenten versammelte sich vor dem Hauptgebäude der Viadrina und demonstrierten. Die Stimmung war aufpeitschend und temperamentvoll.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich Maciej geborgen in dieser Meute, die für Ideen einstand, denen Maciej tief im Herzen teilte.
Der Mob wurde geführt von Vertretern der Studentenvertretung und anderen Studenten mit gelben Westen, die als Ordner fungierten.
Nach ein paar Minuten zog der Mob aus dem Platz in Richtung der Innenstadt und schließlich über die Oder-Brücke in die Partneruniversität dem Collegium Polonicum in Slubice.
Fröhlich schritt die Schar an begeisterten jungen Menschen über die Brücke. Es wurden deutsche, polnische und die EU-Flagge gehisst, gefolgt von der Ode an die Freude, die aus mobilen Lautsprechern tönte. Bis jetzt. Es geschah, dass plötzlich neben Europafreundlichen Sprechchören, laute Buhrufe diese störten und kurz zum Schweigen brachte.
Aus Richtung der Innenstadt Slubices zog eine eine kleinere Schar von Menschen heran, die polnische Flaggen trugen und daneben Plakate mit Symbolen, die den polnischen Rechtspopulisten zuzuordnen sind. Auf einmal ertönten mehrere Polizeisirenen und aus beiden Seiten der Oder fuhren Busse heran, aus denen Polizisten ausstiegen und eine menschliche Mauer zwischen den beiden Lagern bildeten.
Die Stimmung wurde aufgepeitscht, als einige Rechtsradikale auf einen Polizeibus stiegen und die EU-Flagge in Brand setzten.
Plötzlich herrschte Angst in dieser ohnehin angespannten Lage und viele Studenten versuchten über die Brücke zu fliehen. Eine Massenpanik brach aus und damit auch das pure Chaos.
Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein, um die Rechten zurückzudrängen, doch diese schienen nur weiter angestachelt zu werden.
Maciej konnte es nicht glauben, als die ersten Steine flogen und dann passierte es…ein lauer Knall, ein Schuss und das endgültige Ende der europäischen Einigkeit.
Fortsetzung folgt…