Es begann mit der kindlichen Fantasie. Der Fantasie eigene Welten zu erschaffen und darin zu leben.
Schon lange genoss ich die Macht der Tagträume. Darin verweilte ich Zeitlebens meiner Jugend . Tagträume sind die schönsten Nebendinge der Fantasie. In einem Tagtraum ist es möglich seine tiefsten Wünschen und Träume auszuleben. Schöne Dinge wie Ruhm, Anerkennung oder Reichtum. Ich lebte ein zweites Leben. Ein anderes besseres Leben in meinem Kopf und wünschte mir stets in ihr einzutauchen. Mit dem Älter werden verstand ich immer, dass dies nur Tagträume sind und man sich früher oder später der Realität stellen muss. Die Realität der eigenen Bedeutungslosigkeit gemessen an den schönen Träumen. Ich verkroch mich in meine eigene kleine Welt, genährt und gefüttert mit Lektüre aus der örtlichen Stadtbücherei.
Während andere Altersgenossen sich dem ersten Handy, den Partys und Mädchen zuwendeten, floh ich in die Räume der ewig festgeschriebenen Fantasie. Langes warten auf den nächsten Bus zur Stadt, die noch längere Busfahrt und die endlos langen Stunden in der Bibliothek nahm ich auf mir, um die schier überwältigende Vielfalt der Bücher zu erkunden.
Dann kam die Zeit, in der ich den ersten PC bekam. Mitte der neunziger war dieses Gerät aus monotonem Grau ein Stoff aus dem später Träume gemacht wurden. Natürlich waren die Spiele die erste Entdeckungen mit der neuen Technik. Doch irgendwann entdeckte ich das Programm Word von Windows 98. Es war für mich eine Entdeckung, ähnlich die des ersten Buchdrucks in der Menschheitsgeschichte. Die Möglichkeit einen Text zu schreiben, kopieren und zu vervielfältigen glich einer Zeitenwende der eigenen Kreativität.
´´Der goldene Ball´´ hieß die erste Kurzgeschichte, die ich als Grundschüler schrieb. Eine Geschichte über einen kleinen Jungen aus Südengland, der einen goldenen Ball findet und damit der beste Fußballer der Welt wurde.
Doch die Faszination an Lyrik endete abrupt mit dem Beginn der Pubertät. In dieser Zeit der Selbstfindung körperlich wie geistig verirrte ich mich. Ich verirrte mich an falschen Idolen und einem Freundeskreis der mir fremd schien, aber unbedingt dabei sein wollte. Es war ein falscher Weg, denn dieser war nicht meiner. Ich verbannte mich damit selbst in eine neue Einsamkeit. Ich verstand nie das Interesse der Mitschüler an ihrer Musik oder ihrer Weltanschauung. Die Weltanschauung war nicht besonders umfangreich, denn er galt bloß den Mädchen und Partys.
Ich ordnete mich unter, denn ich sehnte mich danach dazuzugehören in eine Welt, die ich nie meins nennen konnte. So landete ich sehr schnell in der Außenseiterrolle einer Gesellschaft von Gleichaltrigen in der man gemobbt wurde oder selber mobbt. Ein widerliches Phänomen der Jugend, die enormes Potenzial des jeden Einzelnen zerstört. Wer anders war, gehörte nicht dazu und wer nicht dazugehörte war unten durch. Besonders bei den Mädchen. Klar gab es immer den Trendsetter, der die angestrebte Coolness verkörperte und wie ein moderner Diktatur die Doktrin dessen durchsetzte, was angesagt war. An meiner Stelle war dies fatal, denn ich folgte einer Doktrin die nicht meine war und auch nie recht verstand. Ich verriet mich selbst und opferte meine Individualität am Altar eines Gottes an den ich nicht glaubte. Trostlose, traurige und einsame Jahre lagen vor mir, die ich mir selbst zuschrieb. Mein größter Wunsch war es doch ´´normal´´ zu sein, also so zu sein wie die Anderen. Doch jedes dunkle Kapitel hat ein Ende und ein neues Beginnt. Das war die Oberstufe des Gymnasiums, in der ich mich auf mich selbst zurückbesann. Es entstand ein neuer Mensch. Dieser Mensch war sich des eigenen Bewusst und loyal. Natürlich spielte auch das Erwachsenwerden eine Rolle und eine gewisse Toleranz gegenüber anderen Lebensstils.
Das Abitur absolvierte ich mühelos und ohne Probleme. Wie ich das damals schaffte weiß ich selbst bis heute nicht. Auf jeden Fall gelang es mir ohne mich besonders vorzubereiten, eine durchschnittliche Gesamtwertung zu erlangen.
In meinem Abi-Jahrgang wussten die meisten nicht recht, welchen Berufsweg sie gehen wollen oder anstreben. Ich selbst bin da das beste Beispiel dafür, denn aus der Orientierungslosigkeit suchte ich Orientierung in einem Freiwilligen Sozialen Jahr ( FSJ) .
Fortan arbeitete ich Vollzeit in einer gemeinnützigen Einrichtung und erfreute mich des bescheidenen Gehaltes.
Gegen Ende des FSJ geschah nun die persönliche Urkatastrophe, der tiefste Fall meines jungen Lebens. Für mich das Abtauchen in die eigene persönliche Hölle auf Erden und dessen was ein Mensch ertragen kann. Kurz darauf oder besser gesagt viel zu spät landete ich in der Psychiatrie, die Diagnose: Paranoide Schizophrenie.
Eine verfluchte Erkrankung, die ich bis heute verfluche. Wenn das Gehirn einem selbst Streiche spielt und man sich deswegen nicht auf seine Sinne verlassen kann. Wie soll man die Realität sehen, wenn diese mit den eigenen Ohren wie Augen nicht die Realität zeigt ? Was tun, wenn Halluzinationen einen ständig heimsuchen, wie falsche Stimmen im Kopf, die einem die schlimmsten Dinge ins Ohr flüstern. Natürlich gibt es Medikamente dagegen, zum Preis von großen Nebenwirkungen wie Müdigkeit oder Gewichtszunahme.
Die Medikamente helfen und lindern die Symptome, die jedoch nie ganz zu verschwinden erscheinen.
Wochen und Monate meines Lebens verbrachte ich deswegen in der Klinik und gab meine endlose Freiheit auf. Die Freiheit zu leben wie man es sich erträumt oder die Nächte durchzutanzen. Ich bin gefangen. Gefangen in den Medikamenten, des Verlustes der vollen Mündigkeit, dem Status eines Schwerbehinderten. Es sind Defizite, die besonders einen jungen Menschen hart treffen. Ich darf nicht mehr allein über mein Leben entscheiden, denn es sind immer mehrere Parteien beteiligt, die über mein Wohlbefinden entscheiden. Darunter die Erkrankung und dem ganzen Anhängsel wie zuständige Ärzte oder Rechtsbetreuer.
Ich gebe zu ich brauche diese Hilfe. Doch meine Freiheit musste ich mir selbst wieder erkämpfen.
In den endlos erschienen Aufenthalten in der Klinik sah ich mich mit viel Zeit konfrontiert und ich begriff diese zu nutzen. Ich nutzte die Zeit um auf mich selbst zu besinnen und meinem Leben noch einen Sinn zu geben. Also schrieb ich. Zunähst ein Tagebuch, später meine Eindrücke und noch später meine Gefühle. Schnell merkte ich durch das Schreiben einen Ausgleich. Einen Ausgleich zum Leben, zur Krankheit, zu mir selbst. Seitdem schreibe ich jeden Tag. Jede Zeit nutze ich für diese Kunstform, diese für mich überwältigende Kraft der Fantasie und Freiheit. Ich schreibe mir wörtlich meine Freiheit, Lebenslust zurück. Ich sehe mich nicht als Schriftsteller der konventionellen Art. Nein. Ich schreibe weil es ein Teil meines alten Lebens war und Teil des neuen Lebens ist. Eine der wenigen Gemeinsamkeiten und doch eines der Wichtigsten. Wenn ich schreibe gerät alles in den Hintergrund. Die eigene Unzufriedenheit mit sich selbst, das Leben welches man sich zu leben wünschte und vor allem die Dämonen der Psychose.
Wer ist ein Schriftsteller ? Der der Bücher verlegt und dafür entlohnt wird oder der der jeden Tag schreibt, weil es sein Lebensinhalt ist ? Ein echter Schriftsteller schreibt nicht des Ruhmes, der Anerkennung, des Geldes wegen. Nein. Er schreibt weil er eine Geschichte zu erzählen hat. Darauf kommt es an. Eine Geschichte mit der eigenen Stimme zu beleben, diese auf einem Medium festzuhalten und sie den Lesern zur Verfügung zu stellen. Das ist Kunst. Nicht weniger aber auch nicht mehr. So sitze ich hier und schreibe diese Zeilen. Nicht aus Gefälligkeit, aber weil mir diese Geschichte wichtig ist. Denn diese Geschichte ist nun mal die meine. Bis jetzt.